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Vom Fahrradtachometer als soziologischem Metaindikator



Ein Tachometer ist ein Instrument, das die Relation von Zeit und Raum eines bewegten Objekts in einem als unbeweglich angenommenen Bezugssystems misst. So oder ähnlich dürfte die Definition in Wikipedia lauten. Ältere Lexika beschränken sich dagegen meist auf die Deklaration als Geschwindigkeitsmesser. Beide haben unrecht. Oder erfassen zumindest nicht die ganze Wahrheit

Nehmen wir zum Beispiel meinen neuen Tacho. Als ich im Fahrradladen nach einem geeigneten Modell fragte, leuchteten die Augen des Verkäufers sofort auf. Ich verstand dies als kostenlosen Hinweis auf möglicherweise hohe Folgekosten und schob rasch hinterher: "Einfachstes Modell, billig, robust. Tempo & Strecke reicht. Durchschnittsgeschwindigkeit is' optional." Beruhigt nahm ich zur Kenntnis, wie jegliche Begeisterung von dem Verkäufer abfiel. Er griff scheinbar willkürlich nach einer beliebigen Blisterverpackung und murmelte: "Hier. Neunfuchzig. Und jetzt raus." Ich liebe solche Einkäufe. Kein langes Gebalze, kein umständliches Taktieren um Customer Benefits und Add-on-Costs. Alles in allem also eine solide Transaktion. Dachte ich jedenfalls.

Dass die Schweinebacke mich trotzdem gelinkt hatte, merkte ich erst zu Beginn dieser Radtour. Als ich einmal die verschiedenen Einstellung durchklickte, stieß ich plötzlich auf die Anzeige "Cal 945,7". Was sollte das sein? Kaliber schied aus. Kalibrierung? Möglich. Aber warum steigt der Wert proportional zur Geschwindkeit? Tatsächlich handelt es sich um den geschätzten Kalorierenverbrauch einer Tagestour. Die Logik dahinter scheint diese zu sein: Je schneller ich fahre, um so schneller muss ich strampeln und entsprechend mehr Energie verbrauche ich. Was für ein riesiger Haufen Bullenmist. Wenn ich mein Rad samt Gepäck bei rund 4 km/h einen dieser wunderschönen oberfränkischen Hügel hochschiebe verbrauche ich ein Vielfaches von dem, was für die Abfahrt mit 65 km/h ins nächste Tal nötig ist.

Und genau hier kommen wir zur Eigenschaft des Tachometers als soziologischem Metaindikator. Ja bitteschön, in was für einer Gesellschaft leben wir denn, wenn nur noch Geschwindigkeit als wahres Leistungsmerkmal zählt? Ok, das ist reichlich naiv gefragt. Selbstverständlich ist Geschwindigkeit ein Leistungsindikator. In der Zeit, die ein guter Schuster für ein Paar rahmengenähte Schuhe braucht, wirft der billige Sweatshop-Arbeiter ein Vielfaches kurzlebiger Saisonware auf den Markt - bei deutlich höherem Gewinn. Oder nehmen wir einen Cheeseburger. Vom Preis-Leistungs-Zeit-Verhältnis kann da nicht einmal eine einfache Gemüsesuppe mithalten.

Das Problem ist weder neu, noch unzureichend diskutiert, noch besonders spannend. Doch ich finde es schon ein bisschen erschreckend, wie unreflektiert dieses "Schneller-ist-besser" längst in unserem Denken verankert ist. Und sei es nur, um eine unnütze, weil nicht aussagefähige Funktion in einem Billigprodukt unterzubringen, um dieses vor anderen Billigprodukten zu positionieren.

In Zukunft werde ich wohl doch wieder ausführliche Verkaufsgespräche führen müssen. Ich werde gleich zu Beginn eine Präambel verlesen müssen, in der ich klipp und klar meinen Willen verdeutliche , keine überflüssigen Funktionen erwerben zu wollen, die mir später doch nur vor Augen führen würden, dass sich unsere Gesellschaft mitten in einer Talfahrt befindet und dabei auch noch glaubt etwas zu leisten. Dies werde ich laut und für jeden Anwesenden verkünden. Und die Augen der Verkäufer werden aufleuchten, wenn sie mir dann endlich ein ganz exklusives Angebot machen dürfen, dass ich unmöglich werde ablehnen können.






 

Müll

Neulich im Park. Ich saß auf einer Bank und ließ mir die Abendsonne ins Gesicht scheinen. Die Hummeln brummten, eine einsame Grille zirpte vor sich hin, als plötzlich ein strenger Geruch in meine Nase stieg. Der Mülleimer von gegenüber war unbemerkt herübergewatschelt und hatte neben mir Platz genommen. „Entschuldigen sie“, klapperte er drauf los, „aber mir ist etwas aufgefallen: Menschen, die nichts zu tun haben, scheinen noch mehr Müll von sich zu geben, als es andere ihrer Spezies ohnehin ständig tun. Ich bin vom Fach, ich kenne mich aus. Meinen sie, man könnte da vielleicht etwas machen? Einfach ein wenig aufmerksamer sein und öfter mal den Mund halten?“ Mit einem einschmeichelnden Müllklappenaufschlag fügte er noch ein „Hm?“ hinzu und lehnte sich an meine Schulter. Das war zu viel. Ich versprach, andere über das Problem zu informieren und in Zukunft etwas achtsamer zu sein. Damit stand ich auf und sah zu, der unangenehmen Situation möglichst schnell zu entkommen – wohl wissend, ihn mit diesem Zugeständnis bereits betrogen zu haben.






 

 

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