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51. Tag, Samstag, 23. Juli – nach Kaaresuvanto

5000 Kilometer und ein langer Tag liegen hinter mir. Bin bei anfangs leichtem Nieselregen gut auf der 93 vorangekommen. Vor der finnischen Grenze habe ich an einem Rastplatz schnell (wirklich schnell. Mücken!) das Kartenmaterial fürs Navi aktualisiert. Etwa 15 Kilometer hinter der Grenze gab es dann eine längere Pause an einer Art Sandgrube. Keine Ahnung, ob sie natürlichen Ursprungs ist oder ob hier Sand abgebaut wird. Auf jeden Fall wirkte die Gegend ganz und gar nicht lappländisch. Eher schon wie irgendwo an der Ostsee. War ein schöner Ort, um sich für eine halbe oder dreiviertel Stunde hängen zu lassen und den Steinen beim Rumliegen zuzuschauen. Außerdem gab es keine Mücken:-)

Später traf ich ein Radlerpaar aus Australien. Die beiden sind im April in Spanien gestartet und wollen vom südlichsten zum nördlichsten Punkt Europas fahren. Auch ein strammes Programm. Ich frage mich nur, wo die beiden langgefahren sind. Denn sie geriet förmlich aus dem Häuschen, als ein Rentier die Straße überquerte. Eigentlich müssten sie sich auf dieser Höhe schon an den Anblick gewöhnt haben.

Mich brachten etwas später ein paar Männer aus dem Häuschen, die einzeln mit kleinen Eimerchen vom Straßenrand in die Sumpflandschaft stapften. Sollten die etwa Moltebeeren sammeln? Ich achtete während des Fahrens etwas genauer auf die Pflanzen am Straßenrand. Da leuchteten wirklich öfter rote Früchte aus dem Grün. Ich hielt an und sah mir das genauer an. Tatsächlich Moltebeeren. Die meisten waren rot, also noch nicht reif. Schnell fand ich aber zwei, drei dicke gelbe. Ha, meine ersten frisch gepflückten Moltebeeren. Den Geschmack will ich schon seit Jahren kennenlernen. Aber wie es so ist bei sehr langer Vorfreude, kann die Realität nur enttäuschend sein. Ok, sie schmecken schon gut: süß aromatisch, relativ wenig Säure. Interessant ist die Textur der „Kügelchen“. Im Großen und Ganzen haben Himbeeren für mich aber deutlich mehr Aroma. Wie gesagt: Nicht schlecht, aber der Bohei, der hier teilweise um diese Beeren gemacht wird, ist meines Erachtens übertrieben.

Gegen 16 Uhr traf ich in Enentekiö ein. Ungewöhnlich viele Menschen und Autos waren unterwegs. Damit kam ich nicht so recht klar, kaufte kurz im K-Markt etwas Futter ein und schaute dann, dass ich hier wegkam. Für den Campingplatz war es eh noch zu früh. Dann lieber weiter ins etwa 25 Kilometer entfernte Palojoensuu. Leider war der dortige Campingplatz mal wieder einer von der Sorte, die nur auf der Karte existieren. Naja, viertel nach fünf war immer noch früh also auf zur 39 Kilometer entfernten schwedischen Grenze. Die Strecke erwies sich schnell deutlich hügeliger als die letzten 50 Kilometer. Auch der Verkehr war recht dicht. Vier Autos pro Minute in hohem Tempo bin ich einfach nicht mehr gewohnt. Als ich schließlich in Kaaresuvanto ankam, verkündete ein Wegweiser „Camping 11 km“. Nicht nur, dass ich überhaupt keine Lust auf weitere Kilometer hatte; die Richtung führte mich von Schweden wieder weg. Da war das kleine Schild „lediga Hytter“ doch hochwillkommen. Ich bog kurz von der Straße ab und ein paar Minuten später hatte ich meine Hütte für heute abend. Zum Abendessen gab es zweierlei Tütensuppen in einem Topf aufgekocht mit einem Beutel feingerüttelte Brotkrumen. So lecker wie sättigend. Und während sich draußen die Lemminge tummeln, wird es für mich höchste Zeit, sich aufs Ohr zu hauen. Bin ja schließlich wieder in der osteuropäischen Zeitzone – wenn auch im äußersten Westen.

Distanz: 145 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 20,7 km/h
 

52. Tag, Sonntag, 24. Juli – nach Övre Soppero

War der gestrige Tag länger als erwartet, so war der heutige wesentlich kürzer. Nachdem ich nach ausgiebigem Frühstück kurz nach zehn aufgebrochen bin, ließen sich die ersten paar Kilometer gut an. Dann jedoch begann sich die Luftfeuchtigkeit zu ändern. Erst als feiner, kaum wahrnehmbarer Nebel, der sich auf alles legte und alles durchdrang. Nach einer halben Stunde wurde er mutiger und wandelte sich in leichten Nieselregen. Der Übergang verlief so stufenlos, dass es unmöglich war, die Regenklamotten zu einem passenden Zeitpunkt anzuziehen. Zum Glück wies ein Schild am Straßenrand auf eine Stuga, also eine Art Schutzhütte zum allgemeinen Gebrauch hin. Dort machte ich Pause und wärmte mich erst einmal wieder auf. Draußen wurde der Regen immer stärker. Ich überlegte zunächst, ob ich nicht einfach hier abwarten und zur Not übernachten sollte, falls sich das Wetter nicht besserte. Da so gut wie kein trockenes Holz vorhanden war und zudem noch nicht einmal 40 km hinter mir lagen, beschloss ich, wenigstens zur Jugendherberge in Övre Soppero zu fahren. Dort bin ich nun.

Draußen wird es ein bisschen heller, aber der Wetterbericht verheißt für morgen noch nichts Gutes. Weiterer Regen. Erst ab Dienstag oder Mittwoch soll es besser werden. Zumindest liegt die nächste Jugendherberge mit rund 140 Kilometern Entfernung halbwegs in Reichweite. Nur heute hätte es weder Sinn noch Spaß gemacht, weiterzufahren und dann klatschnass im Wald zu landen.

Distanz: 54 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 21,1 km/h
 

53. Tag, Montag, 25. Juli – bis Gällivare

Ein relativ ereignisloser Tag. Außer viel Gestrampel gibt es wenig zu berichten. Das Wetter war deutlich besser als angesagt. Kein einziger Regentropfen, dafür aber fast die ganze Zeit strammer Gegenwind aus Süden. Die mir entgegenkommenden Radfahrer waren davon sichtlich angetan. Mir hat das natürlich weniger gefallen, war aber trotzdem tausendmal besser als das gestrige Sauwetter. Gällivare habe ich wie geplant erreicht – allerdings aufgrund der geringen Durchschnittsgeschwindigkeit erst um 21:00 Uhr. Was soll's. Die Geschäfte haben hier zum Glück bis 22 Uhr auf, die Campingplätze bis mindestens 23 Uhr und halbwegs warm ist es auch wieder. Mit etwas über neun Stunden reine Fahrtzeit war das bisher der längste Tag. Aber sicher nicht der anstrengendste. Obwohl mit 516 Höhenmeter heute auch der bisher höchste Punkt erreicht wurde (Fichtelgebirge zählt nicht).


Distanz: 152 km
 

54. Tag, Dienstag, 26. Juli – bis Jokkmokk

Man merkt, dass ich mich allmählich wieder gemäßigteren Breiten nähere. Die Vegetation wird vielseitiger. Nur die Vögel sind nach wie vor etwas rar. Hauptsächlich Nebelkrähen und Elstern, die sich mitunter beeindruckende Revierkämpfe liefern. Ansonsten sind die Wälder ungewohnt still. Ok, Rentiere gibt es noch. Entlang den Straßen lassen sie ihr fragendes „Böört?“ aber nicht hören. Meist stehen sie nur da und wissen nicht so recht, was sie mit diesem schwitzenden und schnaufenden gelb-roten Etwas anfangen sollen, das da auf sie zurollt.

Heute Vormittag bin ich an einigen beeindruckenden Bergen nahe des Muddus-Nationalparks vorbeikommen. Durch die sumpfigen Täler führten Bohlenwege, die auch mal einen Urlaub rechtfertigen würden. Mittags kam ich in Porjus an einem ansehnlichen Wasserkraftwerk von Vattenfall vorbei. Ungewohnter Anblick: Keine qualmenden Trafos, keine Strahlungswarnung. Fast habe ich den Eindruck, als ob der Laden ein kleines Imageproblem bei mir hat.

Das Wetter entsprach nicht ganz den Vorhersagen. Kleine Fetzen blauen Himmels konnte man zwar am Vormittag erhaschen, von dem versprochenen Sonnenschein aber weit und breit nichts. Am Spätnachmittag gab es dafür ein passables Gewitter. Nicht ganz so schön wie das vor Pori; aus Gewohnheit schlug ich trotzdem die Zeit in einer Bushaltestelle tot. Als der Regen auch nach einer Stunde nicht aufhören wollte, fuhr ich die letzten Kilometer zum Vandrerhem nach Jokkmokk. War also nichts mit Strecke machen. Jetzt um kurz nach 20 Uhr wird der Himmel wieder heller. Mal sehen, wie es morgen weitergeht.

Ach ja, Lättöl ist so ziemlich das Letzte. Kohlensäurehaltiges Wasser mit einer Spur Bieraroma. Mal ernsthaft: Trinkt das wirklich jemand außer Touris, die im Supermarkt nicht hinschauen, was sie da eigentlich kaufen?

Distanz: 98 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 18,2 km/h 

 

55. Tag, Mittwoch, 27. Juli – bis Storforsen

Die ersten paar Tage in Schweden waren ja nicht so prickelnd. Mieses Wetter, landschaftlich wenige Höhepunkte. Der heutige Tag hat wieder alles rausgerissen. Genau die richtige Mischung aus Sonne, Wolken, Wärme und Wind.

Bei der Abfahrt in Jokkmokk traf ich noch TripleSec aus Paris. Er hatte kurz vor Beginn des gestrigen Unwetters einen Platten. Passend dazu war seine Luftpumpe defekt. Er übernachtete im Zelt am Straßenrand und begann am frühen Morgen, die letzten 10 km bis Jokkmokk zu schieben. Mit der Luftpumpe konnte ich ihm aushelfen. Sein Hinterreifen (Rennradbreite) sah aber so abgewetzt aus, dass er wohl baldmöglichst einen neuen braucht. Seinen Touren nach ist er aber hart im Nehmen: Dubrovnik – Palanga ist keine Spazierfahrt. Sehr dankbar bin ich ihm auch für den Tipp, von der E45 abzuzweigen und den Storforsen anzuschauen.

Vorher ging es aber erst noch über den Polarkreis. Diesmal schön mit Raststätte, Markierung und Erklärung, dass dies nur der gemittelte Polarkreis während der präzessionsbedingten (sic! Bitte bei Wikipedia nachlesen :-) Schwankung ist.

Nachdem ich wie vorgeschlagen von der E45 Richtung Älvsbyn abgezweigt bin, ging es viele Kilometer immer bergab. Ausgesprochen angenehm. Als ich bei dem Wasserfall angekommen war, stand sofort fest, dass ich hier übernachte. Habe erst den Campingplatz klar gemacht und bin dann gut zwei Stunden den Storforsen rauf- und runtergewandert. Keine Ahnung, ob das Ding fahrbar ist, aber ich habe mir etliche Routen überlegt, wie man durch diese unglaubliche Wassermenge durchkommen könnte. Fraglich ist nur, ob man – einmal drin – überhaupt noch eine Übersicht hat. In jedem Fall ein unglaubliches Naturschauspiel. Wer nach Nordschweden kommt: Unbedingt anschauen.

Im Nachbarort wollte ich mir eigentlich noch eine Dose Bier kaufen, um mich abends nochmal an den Storforsen zu setzen, doch machen dort die Geschäfte (naja, das Geschäft) schon um 18 Uhr zu. Ich gönnte mir daher ein Bier im Hotel neben dem Campingplatz zusammen mit einem ziemlich guten Entrecote. Die Aussicht rechtfertigte den Luxus.

Distanz: 114 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 21,6 km/h

 

56. Tag, Donnerstag, 28. Juli – bis Österjörn

Bin heute mehr auf Nebenstrecken unterwegs gewesen. Angenehm ruhig, zum Teil weniger Verkehr als in Lappland. Lediglich auf den wirklich abgefahrenen Sand- und Kiespisten ist ordentlich was los. Die werden von den Einheimischen offenbar gerne als Rennstrecke genutzt. Kann ich verstehen :-)

Nachmittags erreichte ich die Provinz Västerbotten. Dass ich gestern bereits Lappland verlassen hatte und kurz in Norrbotten unterwegs war, war mir gar nicht aufgefallen. In Västerbotten setzte dann auch der Regen ein, der sich schon etliche Stunden mit immer schwärzeren Wolken angekündigt hatte. Diesmal wollte ich alles richtig machen und warf mich frühzeitig in Schale. Mit dem Ergebnis, dass der Regen nach einer Viertelstunde aufhörte und ich eine weitere Viertelstunde später nassgeschwitzt war, weil ich dem Frieden nicht traute und das Plastikzeug anbehielt.

Als ich es dann endlich abgelegt hatte, kam ich dennoch kurz darauf wieder ins Schwitzen. Schuld war der Rasenmähermann. Die Straße verlief schon seit einiger Zeit im stetigen Auf und Ab. Als die Amplituden immer größer wurden, sah ich ihn einige hundert Meter vor mir: In einem riesigen baggerartigen Gerät fuhr er den Straßenrand entlang und schnitt mit seinem Ausleger alles kurz und klein, was ihm in den Weg kam. Ja, so etwas gibt es auch bei uns. Aber nicht in diesem bedrohlichen wespenartigen Anstrich und schon gar nicht in dieser Größe. Wenn ich jetzt das Gefälle hinunterfahren würde, würde ich ihn einholen, überholen und hätte ihn bei der nächsten Steigung im Nacken. Dann doch lieber eine kurze Pause einlegen und ihm genug Vorsprung geben. Nachdem er außer Sicht war, sattelte ich wieder auf. Auf der nächsten Kuppe sah ich ihn dann mir entgegen kommen und den anderen Straßenrand verstümmeln. Fein, dann ist er ja beschäftigt. Dachte ich. Als ich mich gerade die übernächste Steigung hinaufkurbelte, hörte ich von hinten ein widerwärtiges schredderndes Geräusch. Er war es. Die Sau hatte kehrt gemacht. Das konnte nur bedeuten, er wolle mich jagen, stellen, kleinhäckseln, mein armes Rad ausstopfen und seiner irren Trophäensammlung hinzufügen. Nicht mit mir, Freund. Nicht mir. Ich trat in die Pedale wie noch nie auf der Tour. Trotzdem kam das Monster immer näher. Gerne hätte ich ihm zugeschrien, ob er überhaupt wisse, wie beschissen anstrengend das bei der Steigung und dem Gepäck ist. Doch die Genugtuung wollte ich ihm nicht auch noch geben. Auf der Kuppe angekommen schnaufte ich zwei-, dreimal tief durch, schaltete in den höchsten Gang und stürzte mich den Abhang hinunter. 30, 35, schließlich über 40 km/h. Die nächste Steigung rauf und wieder im Sturzflug runter. Kurzzeitig war der Rasenmähermann außer Sicht, aber bereits einen Hügel weiter war er wieder da - den Ausleger hochgeklappt und jetzt eindeutig im Jagdmodus. Ich holte die letzten Reserven raus und raste nach Jörn, der ersten größeren Ortschaft seit langem. Im dortigen Supermarkt versteckte ich mich in der Drogeriereihe und überlegte, wie ich ihn mit Haarspray, Mottenkugeln und Waschpulver zur Strecke bringen könnte. Ich wäre beruhigt, wenn ich schreiben könnte, er sei vorbeigefahren, ohne mich zu entdecken. Doch er kam nicht. Er ist immer noch dort draußen und wartet. Schweden ist ein schönes Land, harmlos aber ist es nicht.


Distanz: 129 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 18,3 km/h


57. Tag, Freitag, 29. Juli – bis Vindeln

Absurdester Beinahe-Unfall des Tages: Ich fummle gerade an den Einstellungen des Navis rum, als ich aus dem Augenwinkel ein Hindernis auf der Straße liegen sehe. Beim Herumreißen des Lenkers erkenne ich es als eine nahezu makellose Emailwaschschüssel von anno dazumal. Was macht die hier mitten im Nirgendwo auf der Straße? Unwillkürlich muss ich an Michel aus Lönneberga denken. Aber für ihn bin ich noch ein paar hundert Kilometer zu weit nördlich.

Von den Unwägbarkeiten der Wege abgesehen war es ein perfekter Tag. Strahlender Sonnenschein, ausgestorbene Nebenstraßen (weniger Verkehr als in Lappland), OSM-technisch viel unerschlossenes Gelände. Hat wirklich Spaß gemacht, die Kilometer runterzuspulen. Erstmals kam mir sogar der Gedanke, ob ich nicht zu schnell bin.Soll heißen, ob ich die endliche Zahl an Kilometern zu schnell verbrauche. Das ist natürlich Unsinn. Gemessen an anderen (pseudo)-mathematischen Fragen aber immer noch eine halbwegs brauchbare Überlegung. Völlig unbrauchbar, aber durchaus interessant ist zum Beispiel die Frage, wie sich die Verteilung von Palindromzahlen entlang des Zahlenstrahls abhängig von der Basis des Zahlensystems ändert. Ja, ich habe mal wieder The Big Bang Theory angeschaut. Und ja, wahrscheinlich wird jeder Mathematiker das als trivial oder irrelevant abtun. Aber solche Gedanken kommen eben auf, wenn der Körper auf Autopilot gestellt ist, und der Kopf nichts zu tun hat.

Wesentlich bodenständiger war dagegen meine erste Begegnung mit einem Elch in diesem Jahr. Ich fuhr gerade auf einer dieser sehr, sehr ruhigen (sagte ich schon) Kiesstraßen, als aus der Wald zu zerbrechen schien. Eine Elchkuh schob sich gemächlich aus dem Dickicht, sah mich fragend an und verzog sich sogleich wieder. Kein Zeit zum Photographieren. Nicht anders erging es mir mit einem Fuchs, der nach einer Biegung plötzlich auf der Straße stand. Auch er warf mir diesen missbilligenden Scheiß-Touri-Blick zu und trollte sich ins Gebüsch.

Am Spätnachmittag gab es dann noch einen dieser „japanischen“ Momente. Rechts von mir ein lichter Birkenwald. Darunter ein breiter Fluss. Dahinter die tief stehende Sonne, die sich in voller Pracht im Wasser spiegelte und diese Spiegelungen wiederum von der Rinde und den Blättern der Birken reflektiert wurde. Im Ohr dazu „Fishing by lamplight“ von den Guo Brothers. So lange ich fuhr und nicht direkt hinsah, glitzerte und blinkte die ganze Welt. Sobald ich aber anhielt und den Moment festhalten wollte, war da nur ein Wald. Traumhaft. Ein echt nordisches Kirschblütenfest.

Genug für heute. Diese Nacht schlafe ich in Vindeln. Hat aber nichts zu bedeuten. In Bredsel gab's schließlich auch nichts zu essen :-)


Distanz: 133 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 19,6 km/h

 

58. Tag, Samstag, 30. Juli – bis Nordmaling

Bin spät aufgestanden und habe mich dann in der Küche noch mit einem Gautinger verratscht, so dass ich erst gegen elf loskam. Das nieselige Wetter trug nicht dazu bei, rechte Radlbegeisterung zu entwickeln. Hinzu kamen viele zugeschotterte Kiespisten ohne richtige Fahrspuren. Das drückt das Tempo ganz schön.

Am späteren Nachmittag wurde das Wetter besser und schließlich gab es Sonnenschein bei blauem Himmel. Gelandet bin ich heute wieder an der Ostsee in Nordmaling. Eigentlich wollte ich noch etwas länger landeinwärts nach Süden fahren. Da morgen (Sonntag) vielleicht weniger Berufs/Fernverkehr unterwegs ist, will ich versuchen über die E4 nach Süden zu kommen und gleichzeitig noch einige Küsteneindrücke mitzunehmen.

Distanz: 108 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 18,9 km/h


59. Tag, Sonntag, 31. Juli – bis Gallsätter

Keine Ahnung, ob sonntags weniger Verkehr auf der E4 unterwegs ist. Falls ja, kann man die Straße an Werktagen komplett vergessen. Falls nein, eigentlich auch. Der Seitenstreifen ist oft abenteuerlich schmal. Die meisten Autofahrer sind sehr fair und überholen mit großem Abstand. LKWs haben es schwerer, versuchen aber ihr möglichstes. Natürlich gibt es auch ein paar Hirnamputierte, die dir zeigen müssen, dass du auf ihrer Straße nichts verloren hast. Da wird dann schon mal auf Handbreite überholt, optional mit Hupe. Der indirekt proportionale Zusammenhang zwischen Sozialisation und Neuwagenkosten ist wie bei uns statistisch signifikant. Muss man bei der Anschaffung eines Oberklassewagens mittlerweile eigentlich einen Lobotomienachweis vorlegen oder genügt es immer noch, dem Verkäufer auf den Tisch zu kotzen und die Sauerei mit genug Geldscheinen zu kaschieren?

Schöner anzusehen waren da schon die zahlreichen US-Limousinen aus den 50er-70er Jahren. Liebevoll hergerichtet und teilweise so glänzend lackiert, dass man meinen könnte in der falschen Zeit gelandet zu sein. Wenn man allerdings das Gurgeln dieser Hubraumgiganten hört, möchte man an die Spritkosten nicht denken.

Das Wetter war heute ganz auf April eingestellt. Morgens strahlend blauer Himmel und sehr warm. Kurz nach elf zog sich der Himmel in fünf Minuten zu und es begann heftig zu regnen. Als ich endlich alle Regensachen anhatte, hörte es wieder auf. Das Spiel kenne ich aber schon. Das Regenzeug wurde nicht abgelegt und hieß den nächsten Guss zehn Minuten herzlich willkommen. Später war der Himmel zweigeteilt. Blau auf der einen Seite, grau über mir. Erst gegen Abend wurde es dann allgemein besser.

Von der Küste habe ich nur am Schluss etwas gesehen. Davor gab es einige widerlich lange Anstiege, die einen nach allen Regeln der Kunst auszehrten. Belohnt wurde die Plackerei mit einer langen Abfahrt und einem durchaus norwegenwürdigen Fjordausblick. Morgen geht es trotzdem wieder etwas landeinwärts. Für Menschenmassen und Verkehrswahnsinn bin ich noch nicht bereit. Ein Besuch beim Burgerking in Örnskäldsvik hat das eindruckvoll bestätigt. Was für eine Hektik, was für ein Lärm. Aber den Burger – ich muss es gestehen – den habe ich richtig genossen.

Distanz: 127 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 20,1 km/h


60. Tag, Montag, 1. August – bis Sidsjö (Sundsvall)

Echt? 60 Tage schon? Hm, weiß gar nicht wie ich das einordnen soll. Insgesamt gesehen kommt mir die Reise kürzer vor. Wenn ich aber ältere Beiträge ansehe auch wieder sehr viel länger. Momentan könnte es von mir aus ewig so weitergehen. Vielleicht sollte ich es doch mal mit Lotto probieren. Passend zu den 60 Tagen habe ich heute auch den 6000. Kilometer geschafft. Der Schnitt stimmt also. Überschlagsmäßig habe ich damit dieses Jahr mehr Kilometer mit dem Fahrrad als mit dem Auto zurückgelegt. Ein wirklich gutes Gefühl!

Habe herrlich auf dem kleinen Campingplatz geschlafen und heute morgen noch ein nettes Pläuschchen mit einem schwedisch-amerikanischem Ärztepaar gehalten. Sie (Amerikanerin) extrem offen und herzlich, ohne dabei oberflächlich zu wirken. Er, Anfang 50, so eine Art Peter Struck mit grauem Irokesenschnitt. Sehr cool, will ich später auch mal haben:-)

Um der E4 zu entkommen habe ich mich heute wieder landeinwärts orientiert. Gut, dass in meinen Karten keine Höhenlinien eingezeichnet sind. Sonst hätte ich es wohl bleiben lassen. Die ersten zwei Stunden ging es kontinuierlich bergauf. Ich würde nicht sagen, dass es der einzige Hügel in der Gegend war, aber gewiss einer der prominenteren. Habe gut geschwitzt und mehr als nur einmal schieben müssen. Die Landschaft hat das aber gut entschädigt. Wenige Häuser,noch weniger Verkehr ringsum Wälder, die mich Finnland fast als baumlos empfinden lassen. Das ewige Auf und Ab ging auch dann noch weiter, als ich auf Straßen mit zweistelliger Nummer Sundsvall ansteuerte. Ursprünglich wollte noch ein gutes Stückchen weiter nach Hassela. Die rund 1100 Höhenmeter zeigten nun aber ihre Wirkung, so dass ich beschloss ein Vandrarhem in Sidsjö aufzusuchen. Das gab es jedoch nur auf der Karte. Seisdrum, dann eben mal wieder ein Hotel. Da war doch vorhin eins ausgeschildert. Nach hundert Metern kam mir die Sache etwas seltsam vor. Ich fuhr durch ein … ja, was eigentlich. Industriebrache? Kasernengelände? Sozialbau aus den 50ern? Auch das Hotel war einer dieser gelben Klinkersteinbauten. Als ein dicker deutscher Benz mich überholte, prüfend das Hotel in Augenschein nahm und dann schnell umdrehte, wusste ich: Hier bin ich richtig. (Bin immer noch sauer wegen der gestrigen Fahrer). Die Unterkunft erwies sich als zweckmäßig und erfreulich günstig. Draußen toben Kinder. Jemand spielt Melodika und dazwischen meckern irgendwo Ziegen. Das ganze hat so einen Ostblockcharme. Alles etwas fertig, aber sehr menschlich. Ich mag's.

Distanz: 113 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 17,4 km/h

 

61. Tag, Dienstag, 2. August – bis Järvsö

Bin erst gegen elf Uhr losgekommen, da es gestern abend recht spät wurde. Habe das Blog aktualisiert, E-Mails geschrieben und ansonsten bei ein paar Lapin Kulta den Abendhimmel mit den ersten Sternen seit Helsinki bewundert.

Dem Tag selbst verleihe ich den Astrid-Lindgren-Sonderpreis für herausragende Sommerhaftigkeit. Strahlend blauer Himmel, sommerlich warm, ohne heiß zu sein und dazu dieses ganz spezielle Licht, das es sonst nur in den Kindheitserinnerung an die besten Sommer überhaupt gibt. Die Landschaft passte sich dem an und präsentierte sich ganz besonders schwedisch. Weit geschwungene bewaldete Hügelketten, hier und da ein paar eiszeitliche Findlinge. In die Tälern sprudelten überall kleine und große Bäche,um sich in funkelnden Teichen voller Seerosen zu treffen. Irgendjemand hatte ein derartiges Zusammentreffen von Klischees mal bewundernd als „scheißidyllisch“ bezeichnet. Man kann es aber auch einfach schön nennen.

Die Idylle hatte aber auch ihren Preis. So gab es einige beachtliche Anstiege zu bewältigen. Vor allem in der ersten Hälfte kam ich daher nicht besonders schnell voran. Störte mich aber überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich legte eher noch mehr Pausen als sonst ein. Neben der obligatorischen Eis-mit-eisgekühlter-Cola-Pause (immer am ersten Supermarkt mindestens 90 Minuten nach der Abfahrt) gab es zwei O-Saft-und-Fluppe-Pausen, eine Ein-Liter-Blutorange-auf-Ex-Pause (heute neu eingeführt) sowie einen spontane Cookies-am-Straßenrand-Fressflash. Für letzteren wäre Tee nicht schlecht gewesen, aber übertreiben wollte ich es dann auch nicht.

Das alles führte dazu, dass ich gegen 19 Uhr in Delsbo noch nicht einmal hundert Kilometer auf dem Tacho hatte. Da es immer noch warm war, im MP3-Player alte erinnerungstriefende 80er Mucke lief und ich auch wirklich gerne weiterfahren wollte, hängte ich noch 30 Kilometer nach Järvsö dran. Hat sich gelohnt (emotional und kilometermäßig sowieso). Lediglich die tiefstehende Sonne und der geradewegs nach Westen führende Kurs machten es mitunter schwer, den Weg überhaupt noch zu erkennen. Auf einigen Baustellenabschnitten mit zahlreichen Schlaglöchern schob ich lieber und fühlte mich dabei, wie ich vermute, dass sich Woody Guthrie gefühlt hätte, wenn er statt mit dem Zug in den USA mit dem Rad in Skandinavien unterwegs gewesen wäre. Oder auch nicht. In jedem Fall aber sehr weit von zu Hause entfernt, ein bisschen bluesig und ziemlich frei.


Distanz: 126 km

Durchschnittsgeschwindigkeit:17,7 km/h

 

62. Tag, Mittwoch, 3. August – bis Alfta

Habe heute unerwartet einen halben Tag „frei“ genommen. Die nette Dame vom Campingplatz hatte so vom auf Tiere der nördlichen Breiten spezialisierten Järvzoo geschwärmt, dass ich doch ein bisschen Sightseeing betreiben musste. Gleich vorweg: Man hatte mir nicht zu viel versprochen. Die Anlage ist in den Bergwald integriert und von Laufstegen mit breiten Holzbrettern durchzogen. Obwohl dabei etliche Höhenmeter überwunden werden, scheint mir das sogar rollstuhlgeeignet zu sein. Generell denke ich persönlich bei Zoo immer noch in Kategorien wie kleine, kahle Käfige und dicke Eisenstangen. Mir ist durchaus bewusst, dass moderne Tiergärten schon lange nicht mehr so aussehen, trotzdem war ich sehr angenehm von der Weitläufigkeit der Anlage überrascht. Lediglich ein, zwei Voglieren kamen mir etwas klein für die dort beheimateten Raubvögel vor. Gleich hinter dem Eingang erwartet einen das Wolfsgehege. Das Rudel zog immer wieder in Sichtweite vorbei und warf den Besuchern misstrauische Blicke zu. Erinnerte mich dann doch ein wenig an Rilkes Panther. Anders als dieser verzogen sie sich aber rasch außer Sichtweite, wenn ihnen der Trubel zu viel wurde. Es folgten die Elche, die das alles sehr gelassener nahmen und meist wiederkäuend in der Gegend rumfläzten. Seltsam anzuhören war das Knacken vieler Gelenke, als ein junger Elch nach ausgiebigem Sonnenbad in den Schatten stakste. Noch eine Portion fauler waren die Moschusochsen, die man erst auf den zweiten Blick zwischen den bemoosten Steinen ausmachen konnte. Ist aber auch kein Wunder. Für Temperaturen weit über 20 °C sind sie mit ihrem dicken Fell sicher nicht ausgelegt. Die Luchse, Bären und leider auch die Vielfraße bekam ich nicht zu Gesicht. Dafür machte es umso mehr Spaß, in den Vogelgehegen nach deren Bewohnern Ausschau zu halten. Insgesamt habe ich gut zwei Stunden auf dem Rundweg verbracht – hätte aber auch locker doppelt so lange bleiben können. Aber ein paar Kilometer wollte ich heute dann doch noch fahren.

Apropos fahren. Neben dem Zoo gab es eine Mountainbike-Abfahrt. Hin und wieder sah man Semiprofis herunterrasen oder Familien mit kleinen Kindern langsamer, aber mit ähnlich viel Spaß runterrollen. Prinzipiell sicher eine schöne touristische Attraktion. Aber braucht es dafür unbedingt einen Sessellift, der die Downhill-Aspiranten samt Bike nach oben befördert? Wahrscheinlich ist es unglaublich spießig und „old-school-mäßig“: Aber ich finde, wer runter will, soll zuerst selber hochkommen. Am Schluss sieht der Sommer im Bergwald bald so aus, wie der Winter mit seinem Skizirkus in den Alpen. Ja ja, ich hör ja schon auf mit meinem Puristengenörgle.

Selber auf die Piste kam ich erst gegen halb zwei. Ich war keine hundert Meter aus Järvsö raus, als es aus heiterem Himmel zu regnen begann. Der Himmel war größtenteils unbewölkt und die Temperatur eher hoch. Das Regenzeug anzulegen lohnte sich offensichtlich nicht. Ich dreht daher um, und wartete den Regenguss bei einer Tankstelle ab. Während ich an meinem Aufenthaltberechtigungseis leckte, grummelte ich wetterbedingt vor mich hin. Im Nachhinein muss ich mich aber fragen, warum eigentlich. Habe ich es denn immer noch nicht begriffen? Hätte der Regen eine halbe Stunde früher eingesetzt, hätte das Zelt nass eingepackt oder noch mehr Zeit fürs Trocknen werden müssen. Hätte es eine halbe Stunde später zu regnen begonnen, hätte es mich auf offener Landstraße ohne Unterstellmöglichkeit erwischt. Und hätte es überhaupt nicht geregnet, wäre ich frühestens in eineinhalb Stunden zu meinem Eis gekommen. Hatte also schon alles seine Richtigkeit :-)

In der nächsten größeren Stadt, Bollnäs, konnte ich endlich die fehlenden Schwedenkarten besorgen und fuhr dann noch ein Stückchen weiter nach Alfta zum Campingplatz.Nicht ganz so viele Kilometer wie gestern angedacht, aber doch ein sehr erfüllter Tag. Mal schauen, ob ich morgen früh aus den Federn komme und ein bisschen Strecke gutmachen kann.

Distanz: 74 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 19,7 km/h
 

63. Tag, Donnerstag, 4. August – bis Sandviken

Von der Streckenleistung her war der Tag in Ordnung, vom Verlauf eher etwas chaotisch. Los ging es damit, dass ich zunächst auf der 50 nach Falun fahren wollte.Nachdem die ersten LKW an mir vorbeigerast sind, entschied ich mich um und wählte die alte Landstraße. Eine gute Wahl. Hier verläuft auch ein Stück des Sverige Leden, dessen Routenabschnitte bisher immer prima waren. Auf etwa 100 km Strecke traf ich zwei Autos, einen LKW, einen Schweden, der zum Baden radelte und ein Radlerpaar aus Stuttgart, das seine nach Lappland ausgewanderte Tochter besuchen will. Mit letzteren habe ich mich lange unterhalten, ansonsten war die Strecke phantastisch ruhig.

Als ich schließlich in Svärdsjö angekommen war, erschien mir Falun, das nun gleich um die Ecke lag, als zu weit westlich und für den weiteren Verlauf zu ungünstig gelegen. Also fuhr ich wieder nach Osten. Unterwegs hielt ich immer wieder nach Unterkunftsmöglichkeiten Ausschau, fand aber nichts ansprechendes. Nach weiteren knapp 50 km stand ich schließlich n Sandviken, wo mir der erste Campingplatz nicht zusagte, die Rezeption des ersten Hostels schon zu hatte, die des zweiten nicht da war und ich so schließlich im Stadshotellet Princess mitten in der Stadt landete. Schon ok, heute war mir Internetzugang für ein paar Mails wichtig. Und so ne wirklich heiße Dusche ohne Zeitbegrenzung hat auch was.

Die Strecke hätte ich deutlich effizienter fahren können. Ob sie dann aber auch so schön gewesen wäre? Keine Ahnung.

Distanz: 146 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 19,2 km/h 

 

64. Tag, Freitag, 5. August – bis Enköping

Im Norden wenig Neues. Heute wurden in erster Linie Kilometer geschrubbt. „Schuld“ daran, ist die besorgte Rezeptionistin, die mich auf das kommende Unwetter und die schweren Überschwemmungen hinwies, die ein Boulevardblatt ankündigte. War gut gemeint, führte aber dazu, dass ich bereits vormittags den blauen Himmeln nach Zeichen der kommenden Apokalypse absuchte. Als sich mittags die ersten Wolken zeigten und die nächsten Stunden zunehmend dichter wurden, war das nur ein Anstoß, fester zuzutreten. Schneller voran kam ich dadurch leider nicht, da der zunehmende Gegenwind die einzige nachhaltige Wetterveränderung blieb. Morgen und übermorgen soll es im südlichen Drittel Schwedens wirklich regnen, allerdings wohl nicht in den zuerst befürchteten Mengen. Ich werde es ja sehen.

Distanz: 135 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 19,6 km/h 

 

65. Tag, Samstag, 6. August – bis Nyköping

Tja, die Zivilisation rückt fraglos näher. Bis Strängnis musste ich auf einer zweistelligen Straße fahren. Bisher war das ein Garant für gemütliches, verkehrsarmes Vorankommen. Nicht so hier. Nun sind schon die dreistelligen Straßen gefragt. Strängnäs selbst ist eine schöne Stadt mit vielen möglichen und wenigen passenden Ausfallstraßen. Hat ordentlich Zeit gekostet,mir aber zumindest das erste warme Essen (thailändisch) seit rund einer Woche eingebracht. Gut gefallen hat mir auch der Dom, in dessen Mauern mehrere Runensteinfragmente eingebaut wurden.

Nach Strändnäs ging es ein bisschen besser voran. Allerdings bremsten mich die ständigen Anstiege und der Gegenwind weiterhin aus. Um 17 Uhr griff ich daher zum bewährten MP3-Doping. Diesmal sollte es Psyche sein. Habe ich seit Jahren nicht mehr gehört, erweist sich aber als guter Taktgeber. Gegen 20 Uhr kam ich schließlich in Nynköping an. Hier fand ein großes Straßenfest mit auffällig starker Polizeipräsenz. Ob das dem Arschloch aus Oslo geschuldet ist oder zum Standardverfahren gehört, kann ich nicht sagen. Zum bereits ausgeschilderten Campingplatz waren es dann noch einmal fast 10 Kilometer. Hat sich aber gelohnt. Schöner Strandplatz mit viel Wald außen rum. Eine Band spielte die Stones, Beatles und Elvis rauf und runter. Bin mal gespannt, ob in zehn oder zwanzig Jahren bei einem ähnlich gealterten Publikum die schönsten Sommerhits der Sex Pistols gespielt werden. Holiday in the sun – wär doch passend.

Einziger Nachteil hier: Es wird verflucht früh dunkel. Abends im Zelt noch schnell die Tageszusammenfassung tippen, ist ohne Stirnlampe nicht mehr möglich. Daher ...

Distanz: 146 km (inkl. 10 km Bierweg)

Durchschnittsgeschwindigkeit: 18,7 km/h

 

66. Tag, Sonntag, 7. August – bis Söderköping

schreibe ich diesen Bericht Sonntagvormittag bei Tageslicht. Komme momentan nicht vom Zeltplatz weg, da der angekündigte Regen endlich da ist. Mit Wucht. Die gelegentlich aufleuchtenden Blitz tun zwar so, als sei dies ein Gewitter. Der strukturlos graue Himmel kündigt aber eher längere Nässe an. Mal sehen, wie es weitergeht.

Am anderen Ende des Tages: Ja, der erste Regenguss war tatsächlich nur ein Gewitter. Er dauerte etwa eine Stunde und setzte den Zeltplatz unter Wasser. Erstaunlich. Bei dem Sandboden hätte ich gewettet, dass jede Wassermenge hier sofort versickert. Eher drohte jedoch mein Zelt zu versinken. Ich baute daher schnell ab und packte alles nass ein. Nachdem sich das Gewitter verzogen hatte, blieb der Landregen. Bis in den frühen Abend regnete es mit unterschiedlicher Intensität durch. Da half auch die ganze Regenkleidung nichts mehr. Zum Glück blieb es warm. Das brachte mich bei einigen Anstiegen zwar zusätzlich ins Schnaufen, frierend wäre der Tag aber sicher deutlich unangenehmer gewesen.Gegen 17 Uhr traf ich in Söderköping ein und beschloss, dass es für heute genug sei. Im erstbesten Vandrarhem bekam ich ein feines Zimmer, das ich mit den aufgehängten nassen Sachen sofort in einen üblen, dampfenden Saustall verwandelte. Den Wetterbericht in den Nachrichten verstand ich zwar kaum,aber anscheinend zieht gerade eine kräftige Schlechtwetterfront von Süd nach Nord über Skandinavien. Gut so, dann kann morgen ja wieder die Sonne scheinen. Ich hatte zwar zu Beginn der Reise öfter behauptet, dass ich lieber im Regen als in der Hitze fahre, aber so ganz stimmt das wohl nicht. Vermutlich fahre ich immer lieber in dem Zustand, der gerade nicht vorherrscht. Außer bei 20 °C, Rückenwind, konstant 5 Prozent Gefälle, kein Verkehr und tieffliegenden gebratenen Wachteln, die nur darauf warten, gegessen zu werden.


Distanz: 77 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 17,1 km/h

 

67. Tag, Montag, 8. August – bis Ankarsrum

Habe hervorragend geschlafen, bin aber trotzdem kaum in die Gänge gekommen. Nach einem Frühstück am anderen Ende der Stadt und dem Putzen des Zimmers ging es zunächst auf der E22 etliche Kilometer entlang, Der Verkehr war moderat, nervte aber trotzdem. Wie schön muss es da doch sein, wieder auf ein paar kleinen, feinen Nebenstraßen unterwegs zu sein. Landschaftlich traf das auch vollends zu. Das Landschaftsprofil hatte es aber in sich. Kam mir teilweise fast ein bisschen wie der Schwarzwald vor. Ok, die „Gipfelhöhen“ bewegten sich mit 100 Metern in einem überschaubaren Rahmen. Aber 100 Höhenmeter lassen sich ja auch problemlos in n*30 m aufteilen, wenn es danach gleich wieder bergab geht. Wenn einen dazu bei den Abfahrten der Gegenwind ausbremst oder man aufgrund des Belags/Kurvenverlaufs selber viel bremsen muss, entwickelt sich nicht unbedingt ein runder Tritt. Wenn die folgenden Anstiege zudem zwar kurz, aber achterbahnartig steil sind, ist öfter mal Schieben angesagt. Besser wurde es erst ab Ukna. Hinter Gammelby ging es dann wieder ein Stück auf der E22 entlang, bevor es auf unbekannten Waldwegen nach Ankarsrum ging. Hier gab es noch einen kräftigen Regenguss, den ich zuerst unter dem Vordach einer Waldhütte abwarten wollte, dann aber aus Zeitgründen doch das Plastikzeug anzog und weiterfuhr. Diese Hektik wäre nicht nötig gewesen, da der in Ankarsrum eingezeichnete Campingplatz mal wieder nicht da war. Etwa eine halbe Stunde suchte ich beide Ortsteile ab, bis ich bereit war, mich irgendwo ins Gestrüpp zu legen. Kaum war ich aber ein paar Kilometer weiter auf der E22 gefahren, stand plötzlich ein Campingplatz angeschrieben. Rezeption gab es keine, aber eine Telefonnummer zum Anrufen. Manchmal, aber nur manchmal, ist ein Handy doch direkt zu was gebrauchen. Die Schweizer Campingplatzbesitzerin sagte, ich solle mein Zelt einfach irgendwo aufbauen. Sie komme dann später noch vorbei, um den Rest zu regeln. Tat sie dann auch und so liege ich nun doch nicht in der Pampa, sondern an einem See mit traumhaftem Ausblick.

Ach ja, in den letzten Tagen war -köping der häufigste Ortsnamensbestandteil. Hier ist es -rum. Erinnert stark an die römischen Lagernamen in „Asterix auf Korsika“. Sorum habe ich heute schon gefunden. Hintenrum (West) und Hintenrum (Ost) leider noch nicht.

Distanz: 132 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 17,3 km/h

 

68. Tag, Dienstag, 9. August – bis Revsudden

7000 Kilometer. Heute war Zeitfahren angesagt. Ich hatte abends bei Ali, Johanna und Familie in Revsudden (ca. 10 km nördich von Kalmar) angekündigt und wollte den Termin unbedingt halten, da ich mit meiner ersten Schätzung doch recht ordentlich daneben lag. Ersteinmal musste aber das nasse Zelt zusammen mit dem nassen Rucksack und anderen ehemals trockenen Sachen verstaut werden. Es hatte die ganze Nacht durchgeregnet und hörte auch am Morgen nur zögerlich auf – um später erneut einzusetzen. Beine und Füße blieben daher den ganzen Tag in Plastik eingepackt. Immerhin konnte ich den Poncho aber gelegentlich ablegen. Die Landschaft präsentierte sich deutlich reizvoller als das nicht ganz optimale Wetter. Ich fuhr fast ausschließlich auf kleinen und kleinsten Nebenwegen und konnte noch einmal Schwedens herrliche Natur erleben. Erst gegen Ende nahm die Landwirtschaft immer mehr zu. Der Wald schwand, Felder breiteten sich aus. Gegen 19 Uhr traf ich schließlich in Revsudden ein, wo Ali und Märta mich schon am Ortseingang empfingen. Zunächst gab es etliche Hände zu schütteln und sich bekannt zu machen, da ein Teil von Johannas großer Familie auch zu Besuch im Sommerhaus war. Sehr nette Stimmung und ein wirklich wunderschönes Haus mit jeder Menge Geschichte. Dazu der Ausblick auf die Ostsee und Öland. Doch, da kann man schon ein bisschen neidisch werden. Zum Abendessen gab es einen hervorragenden Elcheintopf, der ohne Frage das kulinarische Highlight der Tour ist. Nach drei oder vier Tellern fühlte ich mich so wohlig pappsatt, wie schon lange nicht mehr. Einfach große Klasse! Den restlichen Abend ratschten wir über Schweden, Norwegen, Gott und die Welt und natürlich alte Geschichten und schräge Gestalten von früher.

Distanz: 133 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 19,4 km/h

 

69. Tag, Mittwoch, 9. August – bis Emmaboden

Obwohl Ali und Johanna mir anboten, gerne noch zu bleiben, zog es mich nach dem reichhaltigen Frühstück wieder auf die Straße. Allmählich stellt sich doch so etwas wie Heimweh ein. Vielleicht ist es auch nur der Wunsch, wieder mal im eigenen Bett aufzuwachen und gegebenenfalls den restlichen Tag darin liegen zu bleiben. Bis es soweit ist,sind aber doch noch ein paar hundert Kilometer runterzureißen. Auf eine Tee blieb ich dennoch, da es just in dem Moment, als alles gepackt war, zu regnen beginn. Es sollte nicht der einzige Schauer des Tages sein. Hinzu kam ein kräftiger Wind, der ständig zwischen schräg von hinten, seitlich und frontal ins Gesicht wechselte. Anfangs versuchte ich noch dagegen anzukämpfen, bevor ich aufgab und in ein langsameres Tempo verfiel.

Die Route verlief wieder größtenteils auf kleinen Sandwegen. Anders als gestern begann es aber ländlich und endete in einem von Straßenbaumaschinen bewohnten Märchenwald. Die Wege waren zu beiden Seiten von bemoosten Granitblöcken eingefasst. Immer mal wieder tauchten Teiche mit winzigen Inseln auf. Dann wieder versperrte plötzlich ein Monster von einer herrenlosen Teermaschine den Weg. Einpaar Kilometer weiter standen ein uralter LKW und eine vor sich hinrostende Planierraupe im Gestrüpp. Macht direkt Lust, sich dazu ein paar Geschichten auszudenken. Die immer kürzeren Abstände zwischen den immer heftigeren Schauern ließen aber nur wenig Zeit zum Verweilen. Nach einem nicht ganz so langen Tag, war ich daher froh, in Emmaboden ein feines und vor allem trockenes Zimmer zu finden.

Distanz: 87 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 17,7 km/h

 

70. Tag, Donnerstag, 10. August – bis Kristianstad

Der Tag begann grau in grau, aber trocken. Auch der gestern so nervige Gegenwind hat sich gelegt. Ich kam auf Nebenwegen gut voran und legte die erste Pause erst nach rund zwei Stunden ein. Der Rastplatz lag zwar an einer viel befahrenen zweistelligen Straße, hatte durch den langsam vorbeitreibenden Fluss und seine großen, bemoosten Steine schon fast etwas von einem Zen-Garten. Das schätzten offenbar auch die beiden litauischen Brummifahrer, die hier ebenfalls eine Pause einlegten. Während der eine am Gaskocher etwas briet, angelte der andere noch schnell den zweiten Gang. Ich ließ mir nicht ganz so viel Zeit, verputzte zwei Snickers und machte mich wieder auf den Weg. Um kurz vor fünf kam ich in Olofström an und besserte in einem Supermarkt (ausnahmsweise weder ICA noch Coop) meine eigentlich gar nicht so schlechte Nahrungsversorgung auf. Mittlerweile hatte es wieder zu regnen begonnen. War mir egal. Im Poncho auf einer Parkbank gönnte ich mir eine weitere koffeinhaltige Limonade und versuchte eine Zigarette zu rauchen. Als letzteres regenbeginnt nicht funktionierte, ging ich die verbleibenden Kilometer an. Mit Passion Noire und den Blutaxtleuten im Ohr sowie dem Sverigeleden unterm Reifen machten die verbleibenden 40 Kilometer trotz Regen sogar richtig Spaß. Die Strecke rief wieder so ein Flow-Erlebnis hervor, bei dem man gar nicht mit dem Radeln aufhören will. Naja, bis zum Endspurt auf der E22. Die Trucks überholten zwar sehr langsam und vorsichtig, aber straßenbedingt eben auch fast auf Hautkontakt. Zur Rechten gab es statt Leitplanken H-Träger mit gespannten Stahlseilen. Meiner Meinung nach ziemlich tödlich für jeden, der dagegen geschleudert wird.

Nach 20 Uhr kam ich dann in Kristianstad an und fand im Stadshotell eine angenehme und vergleichsweise günstige Unterkunft. Zum Abendessen gab es wieder Polarbröd und Ölkorv. Eigentlich hatte ich auf McDoof oder Würger King spekuliert. Doch als ich wenige Minuten nach neun dort vorbeischaute, hatten beide schon zu. So wirklich verstanden habe ich die schwedischen Öffnungszeiten noch nicht.

Distanz: 147 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 19,7 km/h
 

71. Tag, Freitag, 11. August – bis Trelleborg

Endspurt in Schweden. Nach einem reichhaltigen Frühstück (nochmal Köttbullar) kam ich doch erst wieder gegen halb elf auf die Piste. Aus den gestern noch angedachten Fotos in Kristianstad (netter Ort) wurde leider nichts, da ein Bautrupp heute morgen meinen Lieblingsboulevard mit Absperrgittern verschandelt hat. Dann eben nächstes Mal.

Dank eines kräftigen Ostwindes kam ich gut voran. Die Landschaft gab dafür nicht so viel her. Erinnert ein bisschen an Niederbayern. Viele Äcker, Weizen, hier und da ein paar Hügel. Nachmittags kam dann der gewohnte Regen hinzu. All das störte nicht, da ich bei einigen New Romantic Klassikern in Gedanken schon die nächsten Radtouren plante. Der Hinweis „Trelleborg 9 km“ kam dann am späten Nachmittag auch einigermaßen überraschend. Ebenfalls überraschend war, dass die beiden Nachtfähren nach Travemünde komplett ausgebucht waren. Mir blieb nur die Frühfähre um 10 Uhr morgens. Schade, verliere ich dadurch doch einen Tag.

Distanz: 131 km

Durchschnittsgeschwindigkeit: 20,2 km/h

 

 

 

 

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